So langsam, finde ich, wird es Zeit, die Zukunft zu gestalten. Wir befinden uns kurz vor dem Öffnen unserer Türen, Schritt um Schritt wird gelockert, doch dann wieder: Maskenpflicht. Aber bald wird er losbrechen, der große Kampf um Milliardensummen steht uns bevor, ein Subventionskrieg vielleicht, auf jeden Fall kommt bald die große Rechnung. Denn eines ist gewiss: es wird sehr sehr teuer werden. Wie die Welt mit all diesen Spannungen fertigwerden kann, Norden und Süden, Westen und Osten, – das lässt sich heute kaum erahnen. Wir stehen an einer historischen Epochenschwelle.
In den letzten gut einhundert Jahren haben sich solche Epochenschwellen eigentlich nur zwei Mal ereignet: 1945 und 1989. Und nun, vom selben Kaliber, 2020. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der Westen einen beispiellosen Schub. Wiederaufbau, Wirtschaftsboom, große Erfindungen und Europäische Gemeinschaft, und das alles unter amerikanischem Nuklearschild. (Aus DDR-Perspektive liest sich ein anderes Narrativ.) 1989 brach das sowjetische Imperium zusammen, seitdem geht der Kapitalismus global. 1945 und 1989 veränderten den Gang der Weltgeschichte. Und 2020? Seitdem befindet sich die Welt im Krisenmodus, und aus dem kommen wir aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht mehr heraus. Wir fiebern. Wir stecken ganz tief in der Klemme. Wir stolpern von Krise zu Krise, wir sind ohne Steuerung, wir reagieren auf die Krisenwellen, aber wir agieren nicht mehr.
Wir brauchen eine Neuordnung unseres Systems, wenigstens aber eine deutliche Kurskorrektur. Das geht weit über Corona hinaus, oder besser gesagt: Corona ist ein Symbol, ein Menetekel gar, Corona meint ganz grundlegend das Verhältnis von Natur und Mensch. Denn dort wütet Corona, und das Virus hat es erstaunlicherweise geschafft, das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben der Menschheit aus dem Gleis zu heben. Auf dem Gleisschotter legen wir gerade eine Vollbremsung hin. Die größte Weltwirtschaftskrise seit der Großen Depression, und das war vor 90 Jahren.
In Amerika hatte Franklin D. Roosevelt in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts fast einen neuen Gesellschaftsvertrag ausgehandelt, den New Deal. Damit fand Roosevelt eine Antwort auf die Weltwirtschaftskrise. Er justierte das System neu aus, egalitärer als das alte, die Einkommen glichen sich an bis in die späten 80er Jahre. Das waren die goldenen Jahrzehnte Amerikas, die der Film so gern erinnert. Doch dann, unter neoliberaler Herrschaft, zündete der Kapitalismus seine vorerst letzte Stufe, er schaltete seinen Turbo dazu. Eine Generation später fährt dieser Zug nun gegen die Wand. Zwangshaft für eine Wirtschaftsordnung, die niemals pausieren darf, denn das Gesetz, nach dem er angetreten ist, lautet Unrast, Nervosität und der stete Blick nach dem Geschäft. Doch nun: Alle mal herhören: Pause!
Wir brauchen jetzt wir einen New New Deal. Er ist ein Green New Deal, aber mit einem dicken sozialen Plus. Wir brauchen eine Revision unseres Gesellschaftsvertrages, auch das muss auf den Tisch. Da sind nämlich ein paar sehr gravierende Fehler entdeckt worden, Unwuchten, die sich dann gegenseitig hochgeschaukelt haben, das ganze System ist ins Schlingern geraten. Davon berichten Wissenschaftler aller Couleur, detailreich und überzeugend, und sie präsentieren eine lange Fehlerliste. Sie beginnt beim Finanz- und Steuersystem und erstreckt sich über nahezu alle Bereiche unseres Lebens: Landwirtschaft und Ernährungsgewohnheiten, Industrie und Handel, Mobilität, alte und neue Medien, Technologie und Technikrisiken, Pflege, Versorgung und vieles mehr. Im wirtschaftlichen Pausenmodus finanzieren sich viele dieser Geschäftsfelder nicht mehr aus eigenen Ressourcen. Sie werden von der Gemeinschaft finanziert, und damit erwirkt sich ebendiese Gemeinschaft das Recht, ein neues ökonomisches Modell einzufordern. Und weil die Kosten der gegenwärtigen Krise über Gebühr von den jüngeren Jahrgängen getragen werden müssen, gebieten es Fairness und Generationengerechtigkeit, den Stimmen der Jüngeren besonderes Gewicht zu verleihen.
Die Gegenwart scheint günstig, solche und andere, damit verwandte Fragen zu stellen. Es sind Fragen nach der Zukunftsfähigkeit unseres wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Lebens. Sie greifen tief ins Fleisch der Gesellschaft, und dabei erspüren sie mache dicke Fettschicht. Wie immer der Kapitalismus zu reformieren ist, eine Fettabsaugung tut Not.